Vom Rittertraum zum Kulturraum
Über die Jahrhunderte entwickelte sich Schloss Aarwangen vom Adelswohnsitz zum bernischen Amtssitz bis hin zum modernen Verwaltungsbau mit Büro, Gericht und Gefängnis. Nun hat ein neues Kapitel begonnen: Die Stiftung Schloss Aarwangen hat die historische Anlage in einen lebendigen Erlebnis- und Begegnungsort verwandelt.

Nach der Justizreform von 2012 und dem Auszug des Gerichts stand das über 800-jährige Schloss – wie andere bernische Schlösser – zum Verkauf. Mit dem Ziel, das Schloss für die Oberaargauer Bevölkerung zu erhalten, formierte sich zunächst eine Ideengruppe und ein Förderverein wurde gegründet. Per Motion wurde die Regierung verpflichtet, das Schloss der Bevölkerung zu widmen. 2019 erfolgte die Gründung der Stiftung Schloss Aarwangen, die gemeinsam mit externen Partnern für Kuration und Szenografie ein Nutzungskonzept entwickelte und die Finanzierung sicherte.
2021 erfolgte die Schlüsselübergabe vom Kanton an die Stiftung, 2023 begannen die Sanierungs- und Umbauarbeiten, und im Frühling 2025 öffnete das Schloss feierlich seine Tore. Heute lässt sich hier Geschichte hautnah erleben: Besucherinnen und Besucher entdecken spannende Kapitel der Oberaargauer Vergangenheit – von Wirtschaft und Alltagsleben bis hin zu prägenden Persönlichkeiten. Moderne Formate wie Escape Rooms oder Virtual-Reality-Angebote ergänzen die historischen Inszenierungen und machen das Schloss zu einem Ort, der Bildung und Unterhaltung verbindet.
Erkenntnisse zur Baugeschichte

Im Rahmen der Bauarbeiten nahm der Archäologische Dienst Untersuchungen im Boden und am aufgehenden Mauerwerk vor und gelangte zu neuen Erkenntnissen zur Baugeschichte. So konnten die Baudaten von Turm und Palas ermittelt werden: Zwei Geschossbalken im Eingangs- und im obersten Geschoss des Hauptturms weisen ein Schlagdatum vom Herbst/Winter 1265/66 auf und das Holz für die enggestellte Bodenbalkenlage im Palas-Bereich wurde 1373 geschlagen. Ab 1432 war Aarwangen bernisch und wurde weiterhin regelmässig den veränderten Bedürfnissen angepasst. So entstanden im 16. Jahrhundert Backöfen zur Versorgung der Armen, ab 1695 wurden im Turm die ersten Gefängniszellen eingerichtet. Ab 1816 wurde das Schloss in mehreren Schritten zum Verwaltungsbauwerk mit modernem Gefängnis, Büros, Archivräumen und Gerichtssaal umgestaltet.
Tapetenfund in Szene gesetzt

Wie Fotos einer Restaurierung in den 1960er Jahren zeigen, waren mit Ausnahme der barocken Wand- und Deckenmalereien in den Zimmern südwestlich des Turms bereits damals nur noch wenige Spuren von älteren Ausstattungsphasen vorhanden. Auf aussergewöhnliche Weise fand nun jedoch eine englische Tapete zurück ins Schloss: Im Auftrag der Burgerbibliothek sichtete die Denkmalpflege 2021 grossformatige Pläne und Zeichnungen aus dem Firmenarchiv der H. A. Fischer AG, die in den 1960er Jahren an der Restaurierung des Schlosses beteiligt war. Dabei entdeckte man zwei Tapetenrollen ohne erkenntliche Herkunft – jedoch mit von den Fotos aus Aarwangen bekanntem Muster. Die englische Tapete stammte offenbar aus einem Raum im zweiten Obergeschoss. Sie wurde sorgfältig restauriert, digital ergänzt und in die neue Ausstellung integriert.
Ein Ort zum Verweilen
Durch die geschickte Platzierung des neuen Lifts ist nun auch das eindrückliche Dachgeschoss erschlossen. Hier wurde ein fantasievoller Parcours mit historischen Objekten und ein Zugang zum «Turmzimmer» eingerichtet. Herzstück der Schlossanlage bleibt jedoch die prachtvolle Wendeltreppe aus dem 17. Jahrhundert, die alle Ebenen miteinander verbindet – vom Dachraum über die Escape Rooms in den ehemaligen Gefängniszellen bis zum Restaurant. Ob Kultur, Spiel oder Kulinarik: Schloss Aarwangen bietet heute vielfältige Möglichkeiten zum Entdecken und Begegnen. Ein Abstecher lohnt sich – nicht zuletzt wegen der lauschigen Terrasse direkt an der Aare.
Massnahmen
Umnutzungs- und Umbauprojekt, 2021–2025
Bauherrschaft: Stiftung Schloss Aarwangen
Architekten: Müller + Partner Architekten AG, Langenthal, Raffael Egger
Restauratoren: Fischer & Partner AG Restauratoren, Bern
Baufachleute (denkmalpflegerische Massnahmen): Egger Bau GmbH, Niederbipp (Baumeisterarbeiten); Rikli AG Holzbau, Wangenried (Montagebau Holz); A. Meyer Bedachungen, Langenthal; Wirz AG Bauunternehmung, Bern (Aussenputze); Gebr. Oetterli AG, Altbüron (Gipserarbeiten); Hans Gassler AG, Gretzenbach (Malerarbeiten innen); Bieler Metallbau AG, Aarwangen; Lüthi + Wyder AG, Bollodingen (Schreinerarbeiten); Holzhandwerk Peter Lüthi, Schwarzenbach; Roth Schreinerei, Roggwil (Wandverkleidung 1. Stock); ARGE Chantal Schwendener, Conservation Solution GmbH, Münchenstein und Sibylle von Matt, Stans (Restaurierung Tapetenfragmente); ABC Parkett- und Teppichmarkt AG, Lotzwil; Rigert Keramik AG, Langenthal (Plattenarbeiten); Toprope GmbH, Worb (Fassadenreinigung); Moeri & Partner AG, Bern (Umgebung)
Archäologischer Dienst: Marco Amstutz
Denkmalpflege: David Spring, Nicolas de Wurstemberger, Markus Thome
Unterschutzstellung: Kanton 2009
Beiträge: Kanton (Lotteriefonds/SID)
Infos zur Baugeschichte
Schloss Aarwangen, um 1266
Im Kern der mittelalterlichen Burganlage steht der schlanke und mit rund 30 Metern sehr hohe Turm aus Tuff-Bossenquadern. Er entstand 1265/66 durch die Ritter von Aarwangen direkt neben der Aarebrücke errichtet und diente der Überwachung dieses wichtigen Flussübergangs. 1373 erbauten die Herren von Grünenberg den Palas, der nordseitig an den Turm anschliesst. Ab 1432 war Aarwangen eine bernische Landvogtei. 1625 erhielt der Turm seinen charakteristischen oberen Abschluss mit den beiden Volutengiebeln mit Kugelaufsätzen und den gestuften runden Schiessscharten. 1637 entstand in der Südwestecke von Turm und Palas ein zweigeschossiger Anbau, der 1667 um ein Geschoss erhöht wurde. Der mittelalterliche Eingang in den Palas wurde 1643 durch einen Wendeltreppenturm aus Tuffstein ersetzt, der noch heute alle Geschosse erschliesst. Ab 1695 entstanden im Turm erste Gefängniszellen.
Zu den bedeutendsten Baumassnahmen der folgenden Jahrhunderte gehören die Erweiterung der Pfisterei im Nordosten unter Mansart-Walmdach 1775, ein umfassender Umbau 1809–1812 sowie 1816. Auf diese Bauphase geht die heutige Raumeinteilung und Befensterung zurück. Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts wurde das Schloss zum Verwaltungsbau mit modernem Gefängnis, Büros, Archivräumen und Gerichtssaal. Die tiefgreifende Gesamtsanierung von 1961–1963 prägt seine heutige Erscheinung.
Die Dacheindeckung des Turms wurde 2018 erneuert. Damals entdeckte man Verwitterungsschäden an den Volutengiebeln aus Tuffstein von 1624/25 sowie den Kunststeinkugeln und den Fahnen von 1962/63. Vor diesem Problem hatte 1771 bereits Landvogt Johann Emanuel Bondeli gestanden: Wegen ihrer starken Verwitterung entschied er sich für die Demontage der originalen Steinkugeln. Der Turm blieb daraufhin bis 1963 nur mit Wetterfahnen bestückt. Nun wurden die Volutengiebel restauriert, neue Natursteinkugeln und Metallfahnen montiert.
Archäologie Bern 2025
Die prachtvolle Wendeltreppe aus dem 17. Jahrhundert verbindet alle Ebenen miteinander (Foto: Mark Drotsky Architekturfotografie).
Im Dachgeschoss wurde ein fantasievoller Parcours mit historischen Objekten und ein Zugang zum «Turmzimmer» eingerichtet (Foto: Dres Hubacher).
Restaurant mit Blick auf die Aare (Foto: Mark Drotsky Architekturfotografie).
Die Dacheindeckung des Turms und seine Volutengiebeln aus Tuffstein wurden 2018 erneuert (Foto: Dres Hubacher).
Text: Barbara Frutiger
Fotos: Dres Hubacher, Mark Drotsky Architekturfotografie
Fachwerk 2025