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Planen im Bestand – Auseinandersetzung mit dem eigenen Ort

Das Projektieren in gewachsenen Strukturen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Bestehende Qualitäten sollen erhalten und gestärkt, unterschiedliche Interessen in Einklang gebracht und neue Bedürfnisse berücksichtigt werden. Ziel ist es, zu einer hohen Lebensqualität in unseren Siedlungen beizutragen – heute und für kommende Generationen.

Wohnkolonie Hard in Langenthal, «Pappelhöfe» (Foto: Alexander Gempeler).

Seit der Revision des Raumplanungsgesetzes vor rund zehn Jahren haben sich im Kanton Bern viele Gemeinden intensiv mit der Entwicklung ihres Ortes beschäftigt. Sie haben Bau- und Nutzungsordnungen angepasst, Entwicklungsgebiete definiert, Interessen abgewogen und Bauprojekte umgesetzt. Ein qualitätvolles Verdichten innerhalb des bestehenden Siedlungsraums verlangt eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Ort und seinen besonderen Siedlungsqualitäten. Es geht darum, den Ort in seiner Gesamtheit zu erfassen – dazu gehören gesellschaftliche Bedürfnisse ebenso wie die künftigen Anforderungen oder das städtebauliche Potenzial. Der Ort ist unser Lebensraum, er ist Grundlage für Identität und Zusammenleben.

Die Denkmalpflege berät Gemeinden, Planende und Bauherrschaften in diesem Prozess. Sie unterstützt bei Fragen zum Ortsbild und insbesondere bei der Wahl geeigneter Verfahren. Die tragende Rolle kommt jedoch den Gemeinden, Planenden und Expertinnen und Experten zu, die die Entwicklung gemeinsam gestalten. Drei Beispiele aus dem Kanton Bern geben einen Einblick in mögliche Herangehensweisen.

Langenthal: Entwicklungsstrategien einer Zentrumsgemeinde

Die Stadt Langenthal hat im Siedlungsrichtplan von 2017 die Leitlinien für ihre räumliche Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten festgelegt. Der Fokus liegt dabei auf grossen Arealen – ihre Weiterentwicklung wird die Stadtstruktur prägen. Dabei spielen Grünräume und Naherholungsgebiete eine ebenso wichtige Rolle wie neue Wohn- und Arbeitsräume.

Bei kleineren und mittleren Bauvorhaben in sensiblen Lagen – bei Baudenkmälern oder Baugruppen des Bauinventars – setzt Langenthal konsequent auf sein bewährtes Workshopverfahren. Dabei lädt die Stadt Bauherrschaften und Baufachleute zu Workshops mit einem Fachgremium (externe Expertinnen und Experten für Städtebau) sowie Vertretungen der Gemeinde und der Denkmalpflege ein. In diesem Rahmen wer den die unterschiedlichen Interessen, Anforderungen und die städtebaulichen Qualitäten frühzeitig gemeinsam geklärt. Ein Planungsteam erarbeitet auf dieser Grundlage die Rahmenbedingungen, Ziele und Schlüsselfragen für die weitere Umsetzung, etwa für einen Studienauftrag, eine Testplanung, einen Architekturwettbewerb oder einen Richtplan. Das Fachgremium wird in jedem Fall für die Beurteilung von städtebaulichen Fragen beigezogen. Diese Vorgehensweise schafft Transparenz, fördert den Dialog und sichert Qualität. Ihr Erfolg wurde 2019 mit dem Wakkerpreis des Berner Heimatschutzes ausgezeichnet. Zu jüngeren Projekten zählen das Laubenhaus Blumenhalle Häusermann AG, zwei Wohnhäuser der Lydia Eymann Stiftung oder die Wohnkolonie «Pappelhöfe», die 2024 die Auszeichnung Berner Baukultur erhielt.

Mein Ort – Stimmen aus Langenthal

«Langenthal bedeutet für mich Lebensqualität, kurze Wege und ein Stück Heimat.»

Claudia Neukomm (Foto: Dominique Plüss).

Claudia Neukomm wohnt und arbeitet in Langenthal

«Ich zog vor 35 Jahren nach Langenthal – aus dem Kanton Luzern, wo ich aufgewachsen bin und meine Lehre absolviert habe. Gemeinsam mit meinem Mann entschied ich mich damals für Langenthal als Wohnort: zentral gelegen, auch für beide Arbeitswege – ich erreiche meinen bequem per Velo. Lebensqualität bedeutet für mich kurze Distanzen, die Nähe zu Bern oder Zürich sowie das vielfältige Angebot vor Ort – auch wenn in letzter Zeit einige Geschäfte verschwunden sind. Besonders schätze ich die vielen Grünflächen, sogar im Zentrum, den ‹Schorenhoger› oder die belebte ‹Märitgasse›. Urbanität ist mir wichtig, deshalb arbeite ich gerne im Zentrum. Die historischen Gebäude machen für mich den beson deren Charme der Stadt aus – sie gehören zu Langenthal wie das Kopfsteinpflaster zu den Strassen. Für die Zukunft hoffe ich, dass die Stadt ihren Charakter bewahrt und auch in 50 Jahren noch so lebenswert ist wie heute.»

«Neubauten sollten sich harmonisch in die bestehende Umgebung einfügen.»

Adrian Berchtold (Foto: Dominique Plüss).

Adrian Berchtold arbeitet in Langenthal.

«Ich arbeite schon seit zwanzig Jahren in Langenthal, wohne aber in der Umgebung. Ich schätze an Langenthal, dass die Grösse des «Stedtli» überschaubar und die Infrastruktur gut ist. Hier kennt man sich, kann rasch und unkompliziert Bekannte treffen, sich austauschen, ist in der Gemeinschaft unterwegs. In dieser Hinsicht hat Langenthal seinen dörflichen Charakter bewahrt. Das ist für mich Lebensqualität. Mein Arbeitsplatz befindet sich in der ehemaligen Porzellanfabrik. Das ganze Areal und die Räume hier haben einen besonderen Charme. Ich finde es wichtig, dass historische Bauten erhalten und weitergenutzt werden. Gleichzeitig sollen neue Technologien wie Solaranlagen oder weitere Massnahmen geschickt in den Bestand integriert werden. Neubauten sollten so gestaltet werden, dass sie sich harmonisch in die bestehende Umgebung einfügen.»

Rapperswil: Weiterentwicklung im ländlichen Raum

Rapperswil, Überbauung Alte Bernstrasse (Foto: Architektur Stauffer AG).

Auch kleinere Gemeinden stehen vor wachsenden Herausforderungen. Rapperswil gehört laut Richtplan zum Entwicklungsraum «Zentrumsnahe ländliche Gebiete». Neue Wohnbedürfnisse sollen innerhalb der bestehenden Bauzonen aufgenommen werden. Diese sollen optimal genutzt werden, um die ausufernde Besiedelung der Landschaft zu verhindern. Die baurechtliche Grundordnung der Gemeinde Rapperswil besteht aus dem Baureglement, dem Zonenplan Siedlung und dem Schutzzonenplan. Der Ortsbildperimeter umfasst weite Teile des Siedlungsgebiets des Dorfes. An- und Umbauten in diesem Bereich sollen so gestaltet werden, dass sie sich gut in die bestehende Siedlungsstruktur einfügen.

Für mehrere Parzellen am Dorfrand wurden in den vergangenen Jahren Überbauungsprojekte erarbeitet. Aufgrund der Vorgaben für den Ortsbildperimeter wurde für die aktuellen Überbauungsprojekte im Vorfeld ein qualifiziertes Verfahren durchgeführt. Auch in Rapperswil setzte man auf ein Workshopverfahren mit einem unabhängigen Fachgremium. In diesem war auch die Denkmalpflege vertreten. Gemeinsam mit der Bauträgerschaft, dem Planungsteam und der Vertretung der Gemeinde beurteilte das Fachgremium alle Fragen zu Qualität und Einordnung der Bauten. In mehreren Workshops wurde der aktuelle Projektstand geprüft, Rückmeldungen aus den Workshops arbeitete das Planungsteam fortlaufend in das Projekt ein. Ein solches Vorgehen ermöglicht selbst bei komplexer Ausgangslage hohe Planungssicherheit.

Pieterlen: Ortsbauliche Analyse als Grundlage für Gestaltungsrichtlinien

Luftansicht von Pieterlen (Foto: Panorama AG).

Gestützt auf das Gemeindebaureglement liess die Gemeinde Pieterlen 2023 eine Ortsanalyse erstellen. Pieterlen ist im Kern ein vorindustrielles Bauerndorf. Im historischen Dorfkern sind diese charakteristischen Merkmale bis heute sichtbar, trotz der enormen Veränderungen im vergangenen Jahrhundert. Die ortsbauliche Analyse beschreibt die charakteristischen Bereiche und ihre erkennbaren Merkmale, die gestärkt werden sollen. 

Diese Analyse bildet die Grundlage für Gestaltungsrichtlinien, die im Ortsbilderhaltungsgebiet gelten. Diese Richtlinien sind ein behördenverbindliches Instrument: Die Fachberatung in Pieterlen nutzt sie, um Bauvoranfragen oder Baugesuche zu beurteilen. Eigentümerschaften und Baufachleuten dienen sie als Wegleitung bei der Planung von Bauprojekten.

Qualitätssichernde Verfahren – ein Gewinn für alle

Die Siedlungsentwicklung nach innen und die Weiterentwicklung unserer Dörfer und Städte betrifft uns alle. Damit dies in guter Qualität gelingt, müssen die Gemeinden aktiv steuern und frühzeitig Fachleute, zuständige Behördenstellen und weitere Beteiligte einbeziehen. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll. Qualitätssichernde Verfahren können dabei eine grosse Hilfe sein. Erfahrene Planungsbüros begleiten den Prozess, beraten die Gemeinde und sorgen für klare Abläufe. Ein qualifiziertes Verfahren bringt alle wichtigen Akteure von Beginn weg zusammen. So entstehen breit abgestützte, bewilligungsfähige Lösungen.

Dieser Weg lohnt sich für alle: Qualitätssichernde Verfahren schaffen Planungssicherheit, fördern Vertrauen und tragen zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung unserer Ortsbilder und Lebensräume bei – für die Bevölkerung von heute und für die kommenden Generationen.

Was ist ein qualitätssicherndes Verfahren?

Bei der Eingliederung von Neubauten in einem historischen Ortskern oder in der Nähe eines Baudenkmals sind eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen zu beachten. Ein qualifiziertes Verfahren bringt Vertretungen aller involvierten Bereiche von Beginn weg zusammen. Die Zusammenarbeit von  Bauträgerschaften, Gemeinden, Baufachleuten und Fachstellen mit unabhängigen Expertinnen und Experten ermöglicht die breit abgestützte Erarbeitung einer optimalen, bewilligungsfähigen Lösung. Als qualitätssichernde Verfahren gelten gemäss Bauverordnung Wettbewerbe, Studienaufträge sowie Workshop- und Gutachterverfahren.

Arbeitshilfe Ortsbild

Die Arbeitshilfe Ortsbild des Amts für Gemeinden und Raumordnung ist ein praktischer Leitfaden für Behörden, Fachleute und Private. Sie ergänzt die Arbeitshilfe Siedlungsentwicklung nach innen und nennt zentrale Erfolgsfaktoren:

  • Bewusstsein für das Ortsbild schärfen
  • Entwicklung des Ortes aktiv angehen
  • Ortsanalyse durch kompetente Fachberatung gewährleisten
  • Mit Eigentümern partnerschaftlich zusammenarbeiten
  • Qualitätssichernde Verfahren durchführen
  • Verständnis für Baukultur fördern

Arbeitshilfe Ortsbild, Amt für Gemeinden und Raumordnung, BHP Raumplan AG, Bern 2018.

Pieterlen, Brunnen im Dorfkern (Foto: Panorama AG).

Text: Redaktionsteam

Fotos: Alexander Gempeler, Dominique Plüss, Architektur Stauffer AG, Panorama AG

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