Ein aussergewöhnliches Baudenkmal
Das ehemalige Bauernhaus entwickelte sich im Lauf der Zeit durch veränderte Nutzungen und den Geschmack seiner Besitzenden zu einem einzigartigen Stilgefüge. Die neue Eigentümerschaft hat das Baudenkmal behutsam saniert und umgebaut.

Das typische mittelländische Hochstud-Bauernhaus von 1765 wurde 1872 an Malermeister Benedikt Fritz aus dem Vorarlberg verkauft. Er richtete im Stallbereich sein Maler- und Gipsergeschäft ein, das Tenn wurde zum Textilladen seiner Frau Lisette.
Selbstbewusster Umbau durch die Schwestern Fritz
Die prägendste Umbauphase erfolgte 1920, als Liselotte Fritz ihre Liegenschaften unter den Nachkommen aufteilte. Ihren drei Söhnen vermachte sie die beiden Nachbarhäuser an der Inneren Schachenstrasse, sie richteten hier ihre neuen Maler- und Gipsergeschäfte ein. Das Haus an der Landshutstrasse übernahmen die drei Töchter Rosa, Mina und Frida. Sie bauten den Textilladen der Mutter zum «Laden- und Versandgeschäft für Mercerie und Bonneterie» mit zwei neuen Ankleideräumen aus und nutzten die Übernahme, um dem Haus ein neues modisches Gepräge zu verleihen. Zum Blickfang wurden die grossen wellenförmigen Dachausbauten auf der Süd- und Westseite. Kupferbraune Schindeln der Eternit Niederurnen AG ersetzten die alten Holzschindeln. Aufwendige Dekorelemente und Schablonenmalereien im Heimatstil prägen das Gebäude. Auch der Garten erhielt eine neue Gestaltung mit Umfassungsmauern, Kugeln, Vasen und Wasserbecken in Kunststein.
Die neue Gestaltung, insbesondere das Motiv des bei norddeutschen Reetdächern üblichen Schweifgiebels, lässt eine Inspiration durch die norddeutsche Reformarchitektur erkennen. Offensichtlich war ein begabter und gut ausgebildeter Architekt am Werk. Vieles spricht für den bekannten Burgdorfer Architekten Ernst Bützberger (1879–1935). Durch Pläne ist belegt, dass er für den zeitgleichen Umbau – ebenfalls im Reformstil – der beiden Häuser an der Inneren Schachenstrasse verantwortlich war.
Vom Textilladen zum Fotoatelier
Nach dem Tod der Schwestern Fritz wurde 1968 der bekannte Berner Fotograf Leonardo Bezzola (1929–2018) mit seiner Familie zum neuen Eigentümer. Das Haus wurde vorab im Innern durch den Architekten Theo Kuentz in modernen Formen umgestaltet. Im Erdgeschoss entstand durch die Entfernung der Zwischenwände in den Stuben und der Abstützung der Decke mit zwei runden Metallstützen ein offener Wohn- und Essraum. Ein Cheminée aus Stahlblech, errichtet von Bernhard Luginbühl, prägt den Raum. Der ehemalige Textilladen wurde zum Fotoatelier, während der ursprüngliche Stallbereich u.a. als Garage für Bezzolas Oldtimer der Marke Talbot diente.
Neue Treppenverbindung als Schlüsselmassnahme
Nach Bezzolas Tod erhielt das Haus 2021 wiederum eine neue Besitzerfamilie – ein Glücksfall. Das Interesse der Bauherrschaft an der komplexen Geschichte des Hauses und ihr Verständnis für den Erhalt der historischen Bausubstanz war von Beginn weg gross, die beabsichtigte Nutzung als Wohn- und Arbeitsort ideal. Auf der Basis umfassender Quellen-, Farb- und Statik-Untersuchungen wurde in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege eine Strategie für die Sanierung und den behutsamen Umbau des Hauses erarbeitet. Alle Umbauphasen sollten gewahrt bleiben, da sie zum unverwechselbaren Charakter des Baudenkmals beitragen.
Die Schlüsselmassnahme des Umbaus wurde im Bereich der ehemaligen Rauchküche umgesetzt. Durch die Entfernung der nachträglich eingezogenen Zwischendecke ist der Raum wieder zweigeschossig erlebbar. Eine moderne Treppenkonstruktion aus Stahl erschliesst die Räume im Obergeschoss und die neuen Schlafräume im – nur in diesem Bereich – gedämmten Dachgeschoss. Der grosse Teil des eindrücklichen Dachraums bleibt ungedämmt erlebbar.
Die Stabilisierung der Tragkonstruktion des Hauses erwies sich als grosse Herausforderung. Als Folge der früheren Umbauphasen hatte sich das Dach verformt und gegen Osten abgesenkt. Gezielt angebrachte Stahlträger und -stützen und ein neues Betonfundament unter dem Ökonomieteil schufen Abhilfe. Auch die neue Treppenkonstruktion übernimmt eine zentrale statische Funktion. Alle Sanierungs- und Umbaumassnahmen zeugen vom hohen Können der Fachleute und von der guten und konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Massnahmen
Sanierung Fassade, Eingriffe im Innern für zeitgemässe Wohn- und Ateliernutzung, Teilausbau Dachraum, 2021–2024
Bauherrschaft: Nathalie und Sandro Balliana
Architekten: Haaf & Haemmig Architekten AG, Bern
Restauratoren: Fischer & Partner AG Restauratoren, Bern
Baufachleute (denkmalpflegerische Massnahmen): Küffer Schreinerei AG, Pieterlen; Tüscher Schreinerei AG, Jegenstorf; CasaNova Gilomen Holzbau AG, Bätterkinden; Stuberholz AG, Schüpfen; P. Vögeli AG, Limpach; GMG, Bern; Zurflüh AG, Ersigen; Roth Gerüste AG, Frauenkappelen; Jenni AG, Bern (Metallbauarbeiten); E, Jörg AG, Bätterkinden (Spenglerarbeiten)
Denkmalpflege: Simon Vögeli, Arpad Boa, Benjamin Locher
Unterschutzstellung: Kanton 2023
Beiträge: Kanton (Lotteriefonds/SID)
Das Baudenkmal in Kürze
Ehemaliges Bauernhaus von 1765, Umgestaltung 1918–1924
Der Ständerbau unter Vollwalmdach, ein Hochstudhaus, weist diverse ursprüngliche Fassadenelemente der Bauzeit auf, wie etwa die Gesimse mit Karnies- und Würfelfries. Der Ökonomieteil wurde zunächst in eine Gipserei, später in ein Textilgeschäft und dann in ein Fotoatelier umgewandelt. Heute prägt der vom Heimatstil inspirierte Umbau von 1920 das Erscheinungsbild. Dazu gehören etwa die wellenförmigen Dachausbauten an der Süd- und Westfassade, eine dekorative Erschliessungslaube an der Westfassade mit charakteristischer Gestaltung, Türen mit Ovalfenster, ein in die Fassade integrierter Brunnen oder die Dachaufbauten und Traufgesimse. Auch der Garten wurde neugestaltet, die alte Pflästerung des Vorplatzes blieb erhalten. Das Gebäude ist in seiner Art einzigartig.
- Die neue Gestaltung anlässlich der Umbauphase von 1920, insbesondere das Motiv des bei norddeutschen Reetdächern üblichen Schweifgiebels, lässt eine Inspiration durch die norddeutsche Reformarchitektur erkennen (Foto: Roland Trachsel).
- Alle Sanierungs- und Umbaumassnahmen zeugen vom hohen Können der Fachleute und von der guten und konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten (Foto: Roland Trachsel).
- Im Bereich der ehemaligen Rauchküche wurde die nachträglich eingezogene Zwischendecke entfernt, eine moderne Treppenkonstruktion aus Stahl erschliesst die Räume im Obergeschoss (Foto: Roland Trachsel).
Exkurs: Leonardo Bezzolas Architekturmontagen
Zwischen 1968 und 2018 war das Haus an der Landshutstrasse der Wohn- und Arbeitsort des bekannten Berner Fotografen Leonardo Bezzola. Bezzola wurde als wichtiger Dokumentarist des Kunstschaffens und -lebens in der Schweiz bekannt. Durch Bernhard Luginbühl lernte er zahlreiche Künstler wie Jean Tinguely, Eva Aeppli, Niki de Saint Phalle, Daniel Spoerri, Schang Hutter und Raffael Benazzi kennen. Ihr kulturelles Schaffen hielt er in seinen Bildern über Jahrzehnte fest. Bezzolas Gesamtwerk umfasst rund 260’000 Aufnahmen, darunter etwa 36’000, die das Werk und Leben von Tinguely dokumentieren.
Bernhard Luginbühl, der im nahen Mötschwil lebte, war oft in Bätterkinden zu Besuch. Gelegentliche Gäste waren auch Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle, vor allem, um gemeinsame Buchpublikationen zu besprechen.
1987 präsentiert Bezzola das Haus an der Landshutstrasse in der Ausstellung «Architekturmontagen» als Ausgangspunkt seines kreativen Prozesses. Inspiration dazu bildete die auffällige Architektur des Hauses. In den Bildern setzt Bezzola das Haus an neue Standorte oder verändert seine Erscheinung. Das hohe Dach mit dem ungewöhnlichen Schweifgiebel bleibt dabei stets präsent. Auf diese Weise kreierte er neue monumentale, groteske, romantische, versponnene oder futuristische Kreationen. Mit den Architekturmontagen setzte Leonardo Bezzola dem Haus ein künstlerisches Denkmal.


Text: Andrzej Rulka
Fotos: Roland Trachsel; Leonardo Bezzola, Nachlass Leonardo Bezzola
Fachwerk 2024