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Ittigen Hinterer Schermen 31

Historische Substanz als Herausforderung und Chance

In der ersten Berner Teigwarenfabrik sind Wohnungen mit spannenden Ein- und Ausblicken entstanden. Der sorgfältige Umbau macht Struktur und Materialität des frühen Fabrikbaus wieder erlebbar.

Die ehemalige «Makkaronifabrik», erbaut um 1843, dient heute als Wohnhaus (Foto: Susanne Goldschmid).

Das Gewerbe im Worbletal hat eine lange Tradition. Seit dem Mittelalter gibt es hier Mühlen für die Nahrungsmittelproduktion oder die Herstellung von Papier. Das Gebäude der Makkaronifabrik in Ittigen ist einer der seltenen baulichen Zeugen für die Mechanisierung und die Entwicklung neuer Gewerbezweige in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Von der Öle zur ersten Berner Teigwarenfabrik

Eine Getreidemühle bestand im Schermen schon in der Zeit um 1300. Später kam eine Öle hinzu, deren Gebäude die Gebrüder Lacroix 1831 erwarben. Die umtriebigen Fabrikanten begannen hier zusätzlich Schokolade herzustellen und erweiterten schliesslich die Räume genauso wie ihre Produktepalette, die zeitweilig von Pastillen über Kaffee-Essenz bis zur Wagenschmiere reichte. Als das Gebäude 1843 kurz vor seiner Vollendung erneut den Besitzer wechselte, zeichnete sich bereits eine Schwerpunktsetzung ab: aus der Schokoladen- wurde eine Teigwarenfabrik – nach Luzern (1838) und Chur (1841) eine der ersten der Schweiz.

Komplexe Struktur hinter einheitlicher Fassade

Angesichts der Vielzahl der anfänglich hier produzierten Waren präsentiert sich das Gebäude überraschend einheitlich. Hinter den geschlossenen Fassaden liegen zwei rechteckige Baukörper, die ein Hof verbindet. Zum Erschliessungsbereich gehören Galerien mit Zimmereinbauten in den Obergeschossen. Die Mitte bildet ein Lichthof, ehemals mit Glasdach.

Reste der ursprünglichen Ölmühle stecken noch im südlichen, gegen den Mühlekanal orientierten Teil, dem die breiten Lauben vorgelagert sind. Typisch ist die Aufteilung in anderthalb Geschosse, die man im Zuge des Ausbaus vom nördlichen Pendant übernommen hat. Für die Unterbringung der Mühlräder, Stampfen und eines für das gesamte Gebäude ausgelegten Dampfapparats hat man die Zwischendecken teilweise weggelassen. Die beiden Obergeschosse zeigen eine ganz andere Aufteilung. Hier boten grosse Säle Platz für das Trocknen der Teigwaren.

Verbindung zwischen Innen und Aussen

Bauliche Veränderungen, die seit dem Auszug der Makkaroniproduktion 1917 in mehreren Phasen erfolgten, und der Zustand des Gebäudes sorgten für eine komplexe Ausgangslage und Überraschungen während des Bauprozesses. Trotzdem ist ein Umbau gelungen, der sich an den ursprünglichen Strukturen orientiert, ohne alle Spuren nachträglicher Veränderung zu verwischen.

Der Mitteltrakt hat seine zentrale Funktion als Verbindung zwischen Innen und Aussen wieder erlangt: verschlossene Zugänge und Fenster sind geöffnet, eine ehemals vorhandene Treppe ist in neuen Formen wieder in Gebrauch und ein Liftschacht in Gestalt eines Betonturms hinzugekommen. Aus den Fenstern zum Hof ergeben sich spannende Aus- und Einblicke. Auch die zentrale Öffnung des Dachraums ist wieder erlebbar, da lichtdurchlässige Böden nachträglich eingefügte Zwischendecken ersetzen.

Räume mit unterschiedlichem Charakter

Dort, wo einst Nudeln trockneten, sind nun Wohneinheiten mit geradlinigem Grundriss untergebracht. Im Süden bilden die grosszügigen Lauben eine ideale Erweiterung in Form von geschützten Aussenräumen. Die Wohnungen in den unteren Geschossen haben einen anderen Charakter. In Rücksichtnahme auf die historische Bausubstanz sind abwechslungsreiche Strukturen mit unterschiedlichen Niveaus und spannungsreichen Durchblicken entstanden.

Die mit grossem Aufwand restaurierten Balkendecken, zum Teil als Kappendecke mit gemauerten Bögen, und das historische Mauerwerk sind – wo immer möglich – sichtbar belassen. Selbst die grosse Rundbogenöffnung der Westfassade, die den Transport von Rohstoffen und Waren in den Mühlenbereich ermöglichte, ist wieder offen. Den dahinter liegenden Bereich hat man in seiner ursprünglichen Höhe in einen lichtdurchfluteten Wohnraum verwandelt.

Massnahmen

Baudokumentation vor Umbau, Sanierung und Umbau, 2021–2024

Bauherrschaft: Laubegg AG, Bern

Architekten: Daniel Meyer, GWJ Architektur AG, Bern

Baufachleute (denkmalpflegerische Massnahmen): Von Dach AG, Bern (Natursteinarbeiten, Fassadenputze); Wirz AG Bauunternehmung (Instandstellung Kappendecken); Markus Witschi Zimmerei-Innenausbau, Jegenstorf; Dürig und Völkel GmbH (Schreinerarbeiten)

Denkmalpflege: Peter Bannwart, Peter Ernst, Markus Thome

Unterschutzstellung: Kanton 2007

Das Baudenkmal in Kürze

Ehemaliges Fabrikgebäude, «Makkaronifabrik», um 1843, heute Wohnhaus

Der winkelförmige Massivbau unter weit vorkragendem Walmdach liegt zwischen Worble und Mühlekanal. Eine ältere Öle wurde beim Bau der «Makkaronifabrik» in den Neubau integriert, das Gebäude wurde als Öle, Stampfe, Reibe, Mühle, Nudel-, Schokoladen-, und Kaffeefabrik vielfältig genutzt. Die verputzten Fassaden mit rechteckigen Fenstern und Rundbogentoren sind durch gefugte Lisenen, Gurt- und Dachgesimsen und Fenster- und Türrahmungen aus Sandstein gegliedert. Der ehemalige Fabrikflügel im Norden verfügt über einen Lichthof, im Süden befinden sich über dem Kanal noch die alten Radkammern mit einem darüber liegenden Holzlaubengang. Das charaktervolle frühindustrielle Gebäude ist von einem schönen, baumbestandenen Garten umgeben. 1995 wurde die Fabrik umgebaut und dient seither als Wohnhaus.

  • Bauinventar online

Text: Markus Thome

Fotos: Susanne Goldschmid, GWJ Architektur AG, Bern

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