Eingangsbereich als Visitenkarte
Die Villa Kästli mit ihrem Garten ist ein eindrucksvolles Beispiel für die aufwendig gestaltete Bebauung entlang der Bahnhofstrasse in Ins. Nun hat das Gebäude einen Teil seines reichen malerischen Dekors zurückgewonnen.

Mit der Eröffnung des Bahnhofs im Jahr 1901 entsteht in Ins ein neuer Ausgangspunkt für repräsentative Wohn- und Geschäftsbauten. Nördlich des 1902 errichteten Hotels «Bahnhof» lässt Emil Kästli, Spross der gleichnamigen Baumeisterdynastie aus Münchenbuchsee, 1907/08 seinen Wohnsitz errichten.
Heute wird die Villa von mehreren Parteien bewohnt. In den letzten Jahren wurde sie deshalb schrittweise saniert. Im Dachgeschoss entstand neuer Wohnraum, punktuelle Eingriffe sorgen für die Abgrenzung einzelner Wohnbereiche.
Malerisches Ensemble an prominenter Lage
Haus und Garten sind auf die Ansicht vom Bahnhof her ausgerichtet: Aus südwestlicher Perspektive kommt ihr malerischer Charme am besten zur Geltung. Unterschiedliche An- und Aufbauten verleihen der Villa ein lebendiges Aussehen. Elemente wie das geknickte Walmdach und der Quergiebel mit Ründe knüpfen an die lokale Bautradition an. Die Fassade zur Strassenseite wirkt auffällig asymmetrisch. Im Erdgeschoss zeigt sich hier besonders deutlich die Idee, das Haus von innen nach aussen zu planen. Die zentralen Wohnräume weisen grosszügige dreiteilige Fenster auf, der überdachte Haupteingang ist seitlich angeordnet. Der Entwurf stammt vermutlich von Otto Kästli, dem jüngeren Bruder des Bauherrn. Er prägte als Architekt zahlreiche Bauten des familieneigenen Sägerei- und Holzbaugeschäfts.
Kräftige Farben
An den Holzelementen der Fassaden und an den Wänden im Eingangsbereich sind nach der Sanierung wieder kräftige Farben und Teile des ungewöhnlich reichen, gemalten Dekors zu sehen. Die Dachuntersichten und der hölzerne Portalvorbau haben ihre ursprüngliche Farbigkeit in warmem Ocker und rötlichem Braun wiedergewonnen. Zum ursprünglichen Gestaltungskonzept gehört der Blattfries, der nach Befund wiederhergestellt wurde.
Überraschendes trat an den Wandflächen im Inneren zu Tage. Im Flur und in der Treppenhalle fanden sich Reste von mindestens zwei Gestaltungsphasen, die kurz hintereinander entstanden sein müssen. Der grosszügige Eingangsbereich des Hauses sollte als Visitenkarte mit unterschiedlichen Materialien und Farben beeindrucken. Der mehrfarbige Terrazzoboden, der im erhöhten Bereich ein teppichartiges Muster zeigt, blieb unverändert erhalten. An den Wänden prägen grüne Fliesen den Sockelbereich, darüber harmonierten ursprünglich terrakottafarbene Putzflächen mit der gemalten Maserierung der Holzelemente.
Gemalte Idylle
Erstaunlicherweise genügte diese Ausstattung den Ansprüchen schon bald nicht mehr. Man entschied sich, sie mit grossformatigen Wandbildern zu ergänzen. Als Vorlage dienten Motive aus der Zeitschrift «Dekorative Vorbilder» (1890 bis 1915 in Stuttgart erschienen). Neben Fragmenten von Landschaftsbildern haben sich idealisierte Darstellungen junger Frauen erhalten. Die «Gärtnerin» und die «Schäferin» an der Stirnwand des Flures stammen aus dem neunten Band von 1898. Sie sind hier in eine idyllische Landschaft mit Vögeln gestellt. Das Bild einer Blumenpflückerin am oberen Ende des Treppenaufgangs in der zentralen Halle trägt die Signatur des Berner Kunstmalers Karl Anneler. Als Vorlage diente das Aquarell «Im Mohnfeld» von Georg Sturm, das 1904 in derselben Zeitschrift erschienen war.
Raumwirkung wie vor 100 Jahren
Die Befunde geben nicht nur spannende Einblicke in den sich verändernden Geschmack und die Entstehung von Innendekorationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie beeinflussten auch das Sanierungskonzept. Es ist ein Glücksfall, dass die Malereien an einer Wand komplett freigelegt und sorgfältig restauriert werden konnten. Zusammen mit der wiederhergestellten Bemalung der Holzelemente lässt sich heute die Raumwirkung von vor 100 Jahren wieder erleben.
In der zentralen Halle verzichtete man auf eine Freilegung der Malereien. Das Hauptaugenmerk der Denkmalpflege lag hier auf dem Erhalt des dreiteiligen Fensters. Es konnte mit filigranen Vakuumgläsern ertüchtigt und mit seinen originalen Details erhalten werden.
Massnahmen
Gesamtsanierung, 2021–2025
Bauherrschaft: Barbara und Stephan Ribi-Gehri, Lobsigen
Architekten: Pawlik + Wiedmer GmbH, Bern
Restauratoren: Fischer und Partner AG Restauratoren, Bern
Baufachleute (denkmalpflegerische Massnahmen): Kiefer Roten AG, Lyss; Könitzer + Hofer AG, Worben, Muster Bedachungen AG, Lyss
Denkmalpflege: Michèle Bless, Markus Thome, Rolf Weber
Unterschutzstellung: Kanton 2025
Beiträge: Kanton (Lotteriefonds/SID)
Das Baudenkmal in Kürze
Villa von 1908
Der aufwendig gestaltete Putzbau unter einem geknickten Vollwalmdach wird durch einen Quergiebel und verschiedene Vorbauten ergänzt. Die Architektur verbindet Elemente des Neubarocks mit dem Heimatstil. Typisch sind die Fenster mit ihrer kleinteiligen Sprosseneinteilung im oberen Bereich. Zur Strasse hin prägt ein markanter Altan mit Drillingsfenster die Fassade. In der Mittelachse fällt besonders der konsolengestützte Quergiebel mit Riegfassade auf. Der Hauseingang ist mit einem aufwendig profilierten Gewände und einer wertvollen Tür ausgestattet. Die Veranda an der Südwestseite ersetzt einen früheren Holzbau. Die Villa ist fast vollständig in ihrem Originalzustand erhalten und gehört zu den bedeutendsten Bauten des frühen 20. Jahrhunderts in der Gemeinde. Sie liegt gut sichtbar zwischen Bahnhofstrasse und Fauggersweg. Trotz des Neubaus im hinteren Teil des Gartens ist das Umfeld mit der zugehörigen Garage (Nr. 102 A) und einem Gartenhaus (Nr. 102 B) weitgehend intakt.
Eingangsbereich mit grünen Fliesen und gemalter Idylle (Foto: Pawlik + Wiedmer GmbH).
Blick vom Eingangsbereich in die zentrale Treppenhalle (Foto: Pawlik + Wiedmer GmbH).
Kachelofen aus der Bauzeit (Foto: Pawlik + Wiedmer GmbH).
Mit der Sanierung entstand neuer Wohnraum. Punktuelle Eingriffe sorgen für die Abgrenzung der einzelnen Wohnbereiche (Foto: Pawlik + Wiedmer GmbH).
Text: Markus Thome
Fotos: Pawlik + Wiedmer GmbH
Fachwerk 2025