Auf der Sonnenseite des Belpberges
Die Besitzer der Campagne Rosengarten beabsichtigen mittelfristig, das Herrenhaus einer sanften Gesamtsanierung zu unterziehen. Durch einen Mieterwechsel ergab sich die Gelegenheit, die Innenräume als Grundlage für die Sanierung zu dokumentieren und erstmals die Datierung der Hauptbauphasen der Campagne zu klären.

Die Gemeinde Gerzensee liegt am Südhang des Belpberges über dem Aare- und Gürbetal. Dank dieser privilegierten Lage profitieren die Ortsansässigen nicht nur von einem milden Klima, sondern auch von einer grandiosen Aussicht auf die Gebirgszüge der Vor- und Hochalpen. Es erstaunt daher nicht, dass die kleine Ortschaft schon früh ins Blickfeld der bernischen Patrizierfamilien geraten ist, die dort bis ins 18. Jahrhundert drei Landsitze errichtet haben: das Alte Schloss aus dem 16. Jahrhundert, den Landsitz Rosengarten und das Neue Schloss aus dem 17. Jahrhundert.
Das frühe barocke Herrenhaus
Der Landsitz Rosengarten liegt mitten im Dorfzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft zur Pfarrkirche. Er ist um 1705 als mittleres Schloss bezeugt, der Besitzer entstammte vermutlich der Familie von Wattenwyl. Die dendrochronologischen Untersuchungen des Dachstuhls haben ergeben, dass der Kern des bestehenden Gebäudes 1701 erbaut worden ist. 1748 entstand die rückwärtige Laube, welche heute der Erschliessung des Gebäudes dient. Das Bauwerk besitzt eine vielfältige Bau- und Ausstattungsgeschichte, welche seine Erscheinung und die innere Struktur heute prägt. Dennoch sind die Grundzüge des um 1700 entstandenen Herrenhauses greifbar. Es verdeutlicht den typologischen Wandel vom frühneuzeitlichen Wohnstock zum barocken Herrenhaus.
Bis um 1700 waren herrschaftliche Wohnstöcke und Herrenhäuser üblicherweise mit Gerschild-Dächern ausgestattet, welche die Schmalseiten des Gebäudes betonten. Die Erschliessung erfolgte über einen Mittelgang sowie einen Treppenturm, der oftmals an der Traufseite angeordnet war. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann man, den Baukörper mit Walmdächern zu versehen und quer zu Landschaft und Garten zu stellen. Auch auf den Treppenturm wurde zunehmend verzichtet. Die Längsseiten wurde dadurch zur Hauptfront. Das Herrenhaus in Gerzensee ist ein frühes Beispiel für diesen architektonischen Wandel. Es ist auf einer schmalen Terrasse oberhalb der Dorfstrasse platziert und sehr geschickt der Topografie angepasst.
Beeindruckende Ausblicke und Neuausstattungen
Der längsrechteckige, zweigeschossige Bau mit mächtigem Vollwalmdach ist mit der Längsseite, seiner Hauptfassade, zum Tal hin orientiert. An die Schmalseiten des Gebäudes schliessen zwei Gartenflächen an. Der im 16. bis 18. Jahrhundert typische Mittelgang liegt parallel zum First, so dass das Haus direkt von den beiden Gärten zugänglich ist. Hinter der Hauptfassade reihen sich dadurch die repräsentativen Haupträume nahtlos aneinander und erlauben beeindruckende Ausblicke auf die Landschaft.
Von der bauzeitlichen Ausstattung sind nur noch wenige Elemente erhalten. Hierzu zählen vor allem einzelne Türen mit auffälligem antikisierendem Dekor, welche den herrschaftlichen Charakter des Anwesens unterstreichen.
Die Innenräume des Herrenhauses sind heute von stilistisch markanten Ausstattungselementen geprägt, die in verschiedenen Phasen zwischen dem 18. Jahrhundert und dem Ende des 19. Jahrhunderts eingebracht wurden. Dazu gehören die barocken Täferausstattungen der beiden Erdgeschossräume, klassizistische Fliesen und verschiedene Kachelöfen.
Das Treppenhaus in der Laube
Eine Bildquelle von 1718 legt nahe, dass das Gebäude hangseitig schon zur Bauzeit mit einer kurzen Laube ausgestattet war. Es ist anzunehmen, dass man ursprünglich von der Rückseite her über einen heute verlorenen Stichgang mit Treppenhaus ins Obergeschoss gelangte. Sollte das Treppenhaus tatsächlich damals schon in den Baukörper integriert gewesen sein, wäre dies als ein besonders innovatives, neues Element einzustufen.
1748 scheint die erste kurze Laube durch den heute noch bestehenden, zweigeschossigen Laubenanbau in Fassadenbreite ersetzt worden zu sein. Offene oder geschlossene Lauben gehörten im 18. und 19. Jahrhundert zum gängigen typologischen Repertoire von Landsitzen und Pfarrhäusern. Sie führen in der Regel zu einem Abortturm und sind vom Mittelgang des Kernbaus aus zu betreten. Das Treppenhaus, das sich heute hier befindet, dürfte daher erst im Rahmen einer späteren grösseren Umbaumassnahme vom Kernbau in die Laube verlegt worden sein. Wann dies genau erfolgte, bleibt vorläufig noch ein Geheimnis. Es ist aber möglich, dass im Verlauf der Sanierungsarbeiten neue Befunde zu Tage treten – wir sind gespannt!
Massnahmen
Baudokumentation zu Baugeschichte und Ausstattungsphasen als Vorbereitung für geplante Gesamtsanierung, 2023–2024
Bauherrschaft: Niklaus Lundsgaard-Hansen, Aarwangen
Archäologischer Dienst: Markus Leibundgut, Matthias Bolliger
Denkmalpflege: Matthias Trachsel, Alexander Kobe, Markus Thome
Unterschutzstellung: Kanton 2006
Das Baudenkmal in Kürze
Landsitz «Rosengarten», Ende 17. Jahrhundert
Der Landsitz «Rosengarten» (mittleres Schloss) befindet sich an erhöhter Lage über der Kirchgruppe. Es handelt sich um ein typisches Beispiel einer frühen Berner Campagne mit ausgewogenen Proportionen, jedoch ohne besondere Schmuckformen. Der breite, zweigeschossige Rechteckbau unter geknicktem Vollwalmdach mit pokalartigen Giebelvasen verfügt im Nordwesten über eine eingewandete Laube, im Nordosten führt eine Freitreppe zur Eingangstür. Die Umgebung ist teilweise gepflästert, im südlichen Bereich befinden sich grosse Rosen- und Terrassengärten. Im Westen liegt ein Hof mit einem Ofenhaus und einem Wirtschaftsgebäude.
- Hinter der schlichten hangseitigen Fassade verbirgt sich eine zweigeschossige Laube mit Treppenhaus. Die Laube wurde dem Hauptbau 1748 beigefügt (Foto: Dominique Plüss)..
- Das antikische Gebälk, die markante Profilierung und das zweifeldrige Türblatt der Türen zeugen vom repräsentativen Anspruch der damaligen Bauherren (Foto: Dominique Plüss).
- Repräsentatives Zimmer der Talseite mit barockem Feldertäfer und klassizistischem Kachelofen (Foto: Dominique Plüss)..
Text: Alexander Kobe
Fotos: Dominique Plüss
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